Alans Blog

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Das Märchen vom Campingplatz

Es war einmal ein Campingplatzbesitzer, der hatte eine schlaue Idee: er könnte seinen Pächtern einen dauerhaften Wohnsitz anbieten, eine echte Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Es gab nur einen Haken bei der Sache: weder der Flächennutzungsplan noch der Bebauungsplan ließen eine solche Nutzung zu. Aber wo kein Kläger, da kein Richter, und so lange es niemand merkt... Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute dort, auf dem schönen Campingplatz draußen vor den Toren der Stadt.

Von wegen! Es rührte sich Widerstand gegen den Besitzer, der zudem noch im Bauamt der Kreisstadt arbeitete und daher das Baurecht ganz genau kennen mußte. Einige Nachbarn neideten ihm den Profit, und so erfuhren die Bürger der beschaulichen Gemeinde vor den Toren der großen Stadt davon.

Aber der Campingplatzbesitzer hatte nicht nur einen großen Campingplatz mit vielen hundert treuen und glücklichen Mitbürgern, die nur dank seines pfiffigen Angebots überhaupt zu Mitbürgern geworden waren, sondern auch viele gute Freunde in seiner Partei. Und, oh Wunder, seine Partei hatte auch die Mehrheit im Gemeinderat und stellte dort seit Jahrzehnten den Bürgermeister, der zudem zwei schön zu lesende Lokalzeitungen herausbrachte, und seine Partei hatte auch die Mehrheit im Samtgemeinderat, deren hauptamtlicher Bürgermeister ebenfalls durch dieselbe Partei in sein Amt befördert worden war.

Böse Zungen könnten den Beteiligten nun Filz oder dunkle Machenschaften unterstellen, doch so weit wollen wir hier nicht gehen. Wir wollen nur einige Beobachtungen in den Raum und zur Diskussion stellen.

Da wäre zunächst der nicht zu verachtende finanzielle Vorteil der Samtgemeinde, die nach freundlicher Schätzung der Zeitung des Gemeindebürgermeisters jährlich mit gepflegten 100.000 Euro Schlüsselzuweisungen von der pfiffigen Idee dieses Geschäftsmanns profitiert. Woher da ein Aufbegehren gegen die bestenfalls als "sehr kreative Interpretation geltenden Rechts" zu bezeichnende Methode des Campingplatzbesitzers kommen soll, wissen wir zwar auch nicht, aber es ist ja alles zum Wohle der Gemeinschaft, richtig?

Man fragt sich außerdem, warum es 800 neuen Bürgern möglich gewesen ist, ihren Wohnsitz an einer Adresse anzumelden, die sogar dem informierten juristischen Laien dafür gänzlich ungeeignet erscheint. Die Anmeldung geschieht in der Samtgemeindeverwaltung, deren oberster Dienstherr der Samtgemeindebürgermeister ist, der von der Partei des Campingplatzbesitzers in sein Amt... und so weiter. Hier gibt es nun zwei Möglichkeiten: entweder die Bediensteten handelten eigenverantwortlich, dann stellt sich die Frage nach den Prozessen und Methoden in der Samtgemeindeverwaltung, die der Samtgemeindebürgermeister zu verantworten hätte. Oder es gab eine entsprechende Dienstanweisung, die derselbe Samtgemeindebürgermeister zu verantworten hätte. Aber so lange es 100.000 Euro pro Jahr in die immer klamme Samtgemeindekasse spült, darf man derartige Fragen vermutlich nicht stellen ohne sich unbeliebt zu machen. Wer fragt schon nach der Einhaltung von Recht und Gesetz, wenn bei der kreativen Auslegung derselben alle davon profitieren? Außer natürlich den Mitbewerbern des Campingplatzbesitzers oder anderen Grundbesitzern, die ebenfalls gerne von einem derartigen Geschäftsmodell profitieren würden, aber leider in der falschen Partei sind oder sich anderweitig unangenehm verhalten haben und somit dem bunten Treiben bestenfalls zugucken dürfen.

Damit dieses clevere Geschäftsmodell, das nun leider aufgeflogen war, legalisiert werden konnte, mußte nur der Bebauungsplan und der Flächennutzungsplan entsprechend geändert werden. Das mit dem Flächennutzungsplan funktioniert übrigens in dieser schönen Samtgemeinde vor den Toren der großen Stadt ganz pragmatisch: da im Rat Mitglieder aus allen Teilgemeinden sitzen und sich natürlich nicht den Zorn der Mitglieder aus den anderen Teilgemeinden zuziehen möchten, damit in Zukunft auch die eigenen Wünsche komplikationslos durchgewunken werden, geschieht meist genau das: die Anträge der Gemeinden auf Flächennutzungsplanänderungen werden einfach durchgewunken. Und wenn man, wie in diesem Fall, als Campingplatzbesitzer für genau die Partei im Samtgemeinderat sitzt, die die Mehrheit hat, geht das Durchwinken für die Parteifreunde umso lockerer von der Hand. Die Änderung des Bebauungsplans im Gemeinderat, in dem man seit einer Generation die absolute Mehrheit hat, ist da bestenfalls Formsache, da wurde vermutlich nicht mal gewunken, da wurde nur wie seit 25 Jahren stumm abgenickt.

Der geneigte Leser wird sich fragen, warum man diese vermeintliche Formalität nicht schon vor Jahren über die Bühne gebracht hat, als der Skandal noch keiner war, aber vermutlich hatte man damals einfach Skrupel. Die muß man jetzt nicht mehr haben, es wird in unserem Land ohnehin so viel gemauschelt und geschummelt, daß unethisches oder rechtswidriges Verhalten am besten mit einem dicken Fell und einem freundlichen Lächeln kompensiert wird. Die Bürger haben ohnehin keinen Bock mehr auf Politik, da erscheint einem so ein bißchen kreative Gesetzesdeutung höchstens wie skurriles Lokalkolorit.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann schummeln sie noch heute.

Aber wo wir gerade bei Lokalkolorit sind, noch eine kleine Anekdote am Rande, damit man die Persönlichkeit des Bürgermeisters richtig einzuschätzen lernt (der, der seit einer Generation die Geschicke der kleinen Gemeinde vor den Toren der großen Stadt mit absoluter Mehrheit leitet).

Es war einmal ein leeres Feld, darauf setzte der Bürgermeister mit Geld der Gemeinde einen schönen Supermarkt. Alle freuten sich, nur einige Querulanten störten sich daran, daß die Gemeinde sich finanzkräftig in die private Wirtschaft vor Ort einmischte. Und es gab bis heute unbestätigte Gerüchte, daß der Miet- oder Pachtzins für diesen schönen Supermarkt eventuell nicht ganz ortsüblich war, so daß dieser neue Supermarkt durch aggressive Preise einen Mitbewerber drei Dörfer weiter in die Insolvenz trieb, und wenn nicht trieb, so doch den entscheidenden Nagel in den Sarg rammte.

Der Bürgermeister hatte nicht nur ein Herz für seine Gemeindemitglieder, die sich alle über den praktischen neuen Supermarkt freuten, auch wenn den Querulanten von weniger differenziert denkenden Mitbürgern vorgehalten wurde, sie würden nicht nur die unklaren Folgekosten für die Gemeinde kritisieren, sondern auch den Markt an sich ablehnen. Nein, der Bürgermeister hatte auch ein Herz für Arbeitslose, in diesem Fall einen netten und motivierten Mann, der vor dem Landtag ein Schild schwenkte. Und so ernannte der Bürgermeister diesen netten Menschen zum Pächter und Marktleiter, und auch wenn er nett war, so entpuppte er sich doch bald als unfähig und überfordert (der Marktleiter, nicht der Bürgermeister, wobei... aber wir schweifen ab).

Und so rauschte dieser schöne neue Supermarkt nach kurzer Zeit in die Insolvenz, was vom Timing her beinahe gereicht hätte, auch den Bürgermeister von seinem Sattel rauschen zu lassen. Es standen nämlich Kommunalwahlen an und dem Bürgermeister das politische Wasser bis zum Hals. Sein Supermarkt, der in der Bevölkerung gefeiert wurde wie der WM-Titel 1990, war quasi pulverisiert. Seine Kritiker, die vornehmlich die undurchsichtige Finanzierung und die Gutsherrenart des Bürgermeisters bemängelt hatten, witterten Morgenluft.

Dazu muß man wissen, daß die meisten Waren im Markt nicht dem Pächter gehören. Und schon gar nicht dem Besitzer, in diesem Fall der Gemeinde. Da liegen Waren im hohen sechsstelligen Wert, und wenn der Pächter Insolvenz anmeldet, räumt die Supermarktkette ruck-zuck (das dauert keine zwei Tage) den Laden leer. Denn ihr gehört das meiste davon, und Lebensmittel haben die Tendenz, nach kurzer Zeit unangenehm zu riechen, zumindest einige davon. Das Ausräumen zu verhindern ist fast unmöglich, zumindest solange man nicht in wenigen Tagen einen neuen Pächter aus dem Hut zaubern kann, der bereit ist, in den bestehenden Vertrag mit derselben Supermarktkette einzusteigen. Und der Bürgermeister kann viel, aber nicht zaubern.

Oder doch?

Oh doch, und wie er gezaubert hat! Es ging schließlich nicht nur um den Supermarkt, sondern auch um seinen Ruf als konstanter Heilsbringer seiner Gemeinde. Und natürlich um seinen Posten als Gemeindebürgermeister. Und, wenn möglich, um den Erhalt der absoluten Mehrheit, denn nichts wäre unangenehmer gewesen, als einer anderen Fraktion einen Blick in den vermutlich windigen Vertrag mit dem insolventen Supermarktpächter gestatten zu müssen.

Da er allerdings weder einen neuen Pächter noch einen Topf voll Gold herbeizaubern konnte, bürgte er einfach heimlich, still und leise mit einem hohen sechsstelligen Betrag aus seinem Privatvermögen gegenüber der Supermarktkette. So waren alle glücklich und zufrieden. Die Bürger, die ihren Supermarkthelden mit großer Mehrheit und Bewunderung wiederwählten, und der Bürgermeister, der geraume Zeit später, nachdem er in Ruhe einen professionellen neuen Pächter gefunden hatte, seine Bürgschaft von der Bank der Supermarktkette zurückbekam. Es war ein sehr unscheinbares Schreiben, das ich damals zu Gesicht bekam, ganz profan auf weißem Papier und nicht auf schwerem Bütten oder Pergament, wie es der Bedeutungsschwere der darauf übermittelten Nachricht entsprochen hätte.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute... in ihrer beschaulichen Gemeinde vor den Toren der großen Stadt, die auf den ersten Blick einen so ehrbaren Eindruck macht.